(SZ vom 11.03.2002) - Die nach Branchen geordnete Hierarchie des
Abkassierens in Deutschland ist noch weithin unbekanntes Terrain. Aber
Experten wie der Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner
weisen seit Jahren darauf hin, dass alles, „was sich um Bau, Steine,
Erden dreht, ganz vorn“ liege. Wenn eine Behörde als Monopolist darüber
bestimme, wer Straßen, U-Bahnen und Müllanlagen bauen dürfe, sei
die Korruption „sozusagen Teil des Systems“.
Besonders tüchtig, so scheint es, wird im Anlagen- und im
Kraftwerksbau geschmiert. Hier geht es um viel Geld. Die Müllverbrennungsanlage
in Köln-Niehl beispielsweise, die jetzt so viel Aufmerksamkeit auf
sich zieht, hat rund 850 Millionen Mark gekostet.
Die Gepflogenheiten der Branche
Da bleibt immer ein bisschen für so genannte „nützliche
Aufwendungen“ übrig. „Sie bekommen keinen Auftrag, wenn Sie nicht
schmieren“, sagt ein ehemaliger Manager eines großen deutschen
Anlagenbauers. Dabei würden „auch Politiker bedient“. Gegen den
Manager ermittelt seit Jahren die Mannheimer Staatsanwaltschaft. Er
erläuterte der SZ die Usancen der Branche unter der Bedingung,
dass seine Anonymität gewahrt bleibe.
Eine Handvoll Technologiefirmen konkurrieren auf dem Anlagenmarkt
weltweit. Seit Jahrzehnten sei es üblich gewesen, sagt der
Ex-Manager, dass für Aufträge in Lateinamerika oder in Nahost
Schmiergelder gezahlt wurden. „Sonst konnten Sie dort kein Geschäft
machen.“ Von solchen Schmiergeldzahlungen wusste auch der Staat. Bis
1999 konnten Bestechungen für Auslandsaufträge sogar von der Steuer
abgesetzt werden.
Für das Schmieren wichtiger Leute hatten sich Anlagenbauer wie der
Mannheimer Technologiekonzern ABB oder die Gummersbacher Firma L &
C Steinmüller, die beide in Köln-Niehl mitbauten, in der Schweiz
Schwarze Kassen zugelegt. ABB hatte für wichtige deutsche Projekte in
der Schweiz auf Nummernkonten 30 Millionen Mark versteckt, Steinmüller
platzierte 29 Millionen Mark allein für nützliche Aufwendungen bei
dem Kölner Projekt, das damals für das Unternehmen lebenswichtig
war.
Narrensicheres Schmiersystem
Teilweise ließen Manager auch Millionen auf eigene Konten fließen.
Der Steinmüller-Manager Sigfrid Michelfelder, der vor ein paar Wochen
in Untersuchungshaft genommen wurde, soll 14,2 Millionen Mark
abgezweigt haben. Acht Millionen Mark soll er an den Geschäftsführer
der stadtnahen Kölner Abfallentsorgungs- und verwertungsgesellschaft
(AVG), Ulrich Eisermann, gezahlt haben.
Der Sozialdemokrat Eisermann ist ein ehemaliger städtischer Beamter.
Das Schmier-System schien narrensicher zu sein, sagt der Manager aus
der Anlagenbranche. Zur Verschleierung der Zahlungen wurden häufig so
genannte Planungsbüros eingeschaltet, die den Auftragnehmern überhöhte
Rechnungen ausgestellt hätten. Das zuviel eingenommene Geld sei dann
an Politiker weitergeleitet worden.
So soll nach Erkenntnissen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft der
Geschäftsführer des Zweckverbandes Restmüllheizkraftwerk Böblingen
neben 560.000 Mark von Steinmüller und 80.000 Mark von ABB weitere
80.000 Mark von einem Hamburger Planungsbüro erhalten haben.
Mittelsmann aus Hessen
Derzeit muss sich der Hamburger Ingenieur Hans Reimer vor dem
Landgericht der Hansestadt wegen Verdachts der Steuerhinterziehung
verantworten. Ihm wird vorgeworfen, rund vier Millionen Euro nicht
deklariert zu haben. Er bestreitet die Vorwürfe. Angeblich ist das
Geld nicht an ihn, sondern an Politiker und Amtsträger geflossen.
Seit Jahren hält sich in der Branche das Gerücht, hochrangige
SPD-Politiker seien „besonders bedient worden“. Frühere
ABB-Manager versichern immer wieder, dass Millionen Mark „zur Pflege
der politischen Landschaft eingesetzt“ worden seien. Angeblich ist
das Geld über die Sozialistische Internationale in London in die
Parteikassen der SPD geschleust worden. Dabei soll ein alter
Parteigenosse aus Hessen der Mittelsmann gewesen sein. Dessen Büro
wurde einmal durchsucht, eine konkrete Spur aber nicht entdeckt.
Die Mannheimer Staatsanwaltschaft, die seit Jahren gegen das Kartell
der Schwarzen Kassen der Anlagenbauer ermittelt, hat in einem
Rechtshilfeersuchen an die Schweiz auch jene Nummernkonten angeführt,
über die das Geld für den hessischen Sozialdemokraten geflossen sein
soll.
Während die Schweizer Behörden Angaben zu anderen Geldanlagen
machten, lehnten sie Auskünfte über die Nummernkonten 18010 und
46391942 beim Bankhaus Julius Baer & Co in der Bahnhofstraße 36
in Zürich ab. „Da ist der Schlüssel des Falles“, sagt dazu der
Manager, der so viel Wert auf Diskretion legt.
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