Generationen-Los: arbeitslos
In Hamburg stehen die Chancen für Arbeitslose schlecht, wieder
einen Job zu finden. Besonders junge und ältere Menschen sind schwer
vermittelbar. Die Agentur für Arbeit gibt Hilfestellung, doch nun ist
die Wirtschaft gefordert
von Martina Goy
Die Zahlen sind brutal: Offiziell waren im Januar 2005 in Hamburg 153
410 Arbeitssuchende gemeldet, davon sind 90 021 arbeitslos - drei
Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Schlimmer noch: Die tatsächlichen
Zahlen nach der Umstellung auf die neue Hartz-Berechnung in den
kommenden drei Monaten werden vermutlich noch höher sein. Schon jetzt
ist klar, daß die Situation am Arbeitsmarkt für zwei Gruppen besonders
brisant ist: Zum einen stieg die Zahl der jungen Arbeitslosen unter 25
Jahren von Dezember 2004 nach der aktuellen Erfassungsmethode
besorgniserregend von 6981 auf 9183 in diesem Monat. Und bei den über
50jährigen, die 23,5 Prozent der Arbeitslosen stellen, ist das Problem
latent, da sie keine neue Arbeit finden. Die meisten Unternehmen wollen
derzeit keine älteren Arbeitnehmer beschäftigen. Tendenz auch hier
steigend.
Dennoch feiert die Bundesagentur für Arbeit die neuen, schlechten
Zahlen quasi als Erfolg: Je mehr Transparenz, so die Devise, desto mehr
Effektivität bei der Vermittlung. Trugschluß oder Hoffnungsstreif? Wie
es in der Hamburger Wirklichkeit aussieht, hat die WELT mit dem Chef der
Agentur für Arbeit, Rolf Steil, diskutiert. Er bezieht Stellung zu zehn
Kernthesen, die das Problem der Arbeitslosigkeit in der Hansestadt
darstellen.
1. Der steigende Anteil der unter 25jährigen Ihre Chance
beziffert der Agenturchef als schwierig. "Sie sind zu einem sehr
großen Teil sehr bildungsfern", sagt Rolf Steil. Soll heißen:
Viele von ihnen haben keinen Berufsabschluß und häufig Sprach- sowie
Schreib-Defizite. Sie zu vermitteln ist fast unmöglich. Hier habe man
"den alten pädagogischen Grundsatz, daß man auch etwas fordern muß,
ist in der Vergangenheit eindeutig zu wenig beachtet", so Steil.
Insofern sei es "richtig, daß diese jungen Arbeitslosen jetzt
deutlich besser angefaßt werden". Ein Teil würde nun hoffentlich
vermehrt Hilfen und Praktika annehmen, der andere allerdings schneller
abdriften. Sozialer Sprengstoff. "Wer sich unserer fürsorglichen
Belagerung entzieht", so Steil, "dem wird irgendwann die
Barauszahlung verweigert." Steils positiver Ansatz: die Ausstattung
seiner Behörde mit Geld. Für 2005 kann er 284 Millionen Euro für
sogenannte aktivierende Maßnahmen ausgeben. Die Ein-Euro-Jobs wiederum
werden an die Jungen nur in Verbindung mit Ausbildungsangeboten wie
Block-Unterricht abgegeben.
2. Die über 50jährigen Hier sieht Steil ein noch größeres
Problem. "Entgegen der Lippenbekenntnisse der Wirtschaft", so
sein Vorwurf, "haben die Älteren, und da besonders die minder
qualifizierten, derzeit keine Möglichkeit, wieder in den Arbeitsprozeß
einzuscheren." Insofern ist auch in Hamburg wie im gesamten
Bundesgebiet deutlich weniger als die Hälfte dieser Altersgruppe nicht
mehr in Arbeit. Steils Fazit: "Der Staat hat jahrelang die Frühverrentung
subventioniert. Das Problem: Auch hier sind wir noch nicht auf dem
neuesten Datenstand, da die Frühverrentung erst noch ausläuft."
Da sich die Unternehmen frühestens mittelfristig auf die zunehmende Überalterung
der Gesellschaft einstellen, ist hier derzeit "keine Integration möglich",
sagt Steil. Ein geschlossener Arbeitsmarkt.
3. Frauen
Ein Hoffnungsschimmer für Steil. "Auf der langen Achse",
sagt er, "sind in Hamburg Frauen die Gewinner. Die gut
ausgebildeten drängen in immer mehr Berufssparten wie Beratung und
Personalabteilungen. Hier liegen wir bundesweit klar über dem
Trend." Für die ungelernten allerdings bestehe das gleiche Problem
wie bei den Männern: In einer sich immer mehr zur
Dienstleistungsgesellschaft ändernden Gemeinschaft geht die Handarbeit
zurück.
4. Statistische Veränderung durch Hartz IV Hierzu sagt der
Agenturchef: "Die stille Reserve gab es immer schon. Alle wußten,
daß die tatsächlichen Arbeitslosenzahlen höher sind. An den Problemen
ändern sie nichts. Allerdings besteht nun die Chance, mehr Aktivität
in den Markt zu bekommen."
5. Quote der Selbständigen in Hamburg ist zu niedrig
Das sieht Rolf Steil anders. "Auch hier muß man langfristig
schauen", sagt er, "unser Eindruck ist, daß gerade die jungen
Leute die Selbständigkeit positiv sehen." 8000 Menschen nahmen im
vergangenen Jahr die Chance wahr, sich mit einer Ich-AG beziehungsweise
einem Übergangsgeld in die Selbstständigkeit zu retten. Steil:
"Wir sollten mehr nach dem amerikanischen Prinzip handeln:
Hinfallen und wieder aufstehen."
6. Entwicklung der Schwarzarbeit Wie im Bundestrend scheint
auch in Hamburg offiziell die Schwarzarbeit zurückzugehen. Folge der
leichteren Legalisierungsmöglichkeiten für Geringverdiener. Beispiel:
vereinfachte Buchführung. Allerdings: "Der Trend dazu bleibt
bestehen", sagt Steil, "immer mehr Menschen arbeiten in mehr
als einem Job."
7. Fehlende Qualifikation der Jugendlichen Dazu Steil:
"Wir bemühen uns, die Fehler der Vergangenheit zu beheben und den
Jugendlichen Bildung zukommen zu lassen. Aber die Wirtschaft muß
mithelfen, diesen jungen Menschen dann auch einen Einstieg zu ermöglichen.
Hier wird man in einigen Monaten sehen, ob der nationale Pakt für
Ausbildung tatsächlich greift. Ich hoffe, die Unternehmen sehen sich
die Leute wenigstens an."
8. Bedürfnisse des Arbeitsmarktes entwickeln sich anders als die
Vorstellungen vieler Jugendlichen Hier sieht Steil besonders ein
Problem bei den Migranten. In Italien würden die jungen Leute nach der
Schule einem Handwerker an die Hand gegeben und lernen so mit. Im
formalisierten Deutschland gehe das nicht. Bei den Türken wiederum stünden
Anspruch und Wirklichkeit im Widerspruch. "Denen muß man sehr
vorsichtig erst einmal klar machen, daß man mit mittlerer Reife nicht
Rechtsanwalt werden kann."
9. Junge Menschen finden arbeitslos-sein normal Steil:
"Unsere gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe. Das darf nicht
sein."
10. Viele Ausländer sind arbeitslos Mit 21 Prozent ist der
Anteil der Ausländer in Hamburg erheblich höher ist als im
Bundesdurchschnitt. "Hier gilt es vor allem eines zu
vermitteln", sagt Steil: "Ohne Schulabschluß und
Sprachkenntnisse wird sich dieses Problem vergrößern."
Artikel erschienen am Die, 8. Februar 2005