Die Kunst der Haushaltsführung mit verknapptem Einkommen
ist der Masse der bundesdeutschen Lohnempfänger inzwischen eine
gewohnte Übung. Eher schon Überlebenskunst haben dabei die
Erwerbslosen zu beweisen. Was diese Menschen mehr oder weniger
individuell spüren, bestätigt ihnen nun Claus Schäfer vom
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der DGB-nahen
Hans-Böckler-Stiftung im aktuellen Verteilungsbericht. Er belegt, daß
der Anteil der Einkommen aus unselbständiger Arbeit am Volkseinkommen
weiter sinkt.
Lohnquote sinkt
Als Volkseinkommen gilt die Summe aller Einkommen aus unselbständiger
und selbständiger Arbeit sowie der Unternehmens- und Vermögenseinkommen.
Der Anteil der Bruttolöhne abhängig Beschäftigter daran, die
sogenannte Bruttolohnquote, sackte Schäfer zufolge 2004 auf 68,4
Prozent ab. Sie liegt damit wieder unter den vereinigungsbedingten
Werten von etwas mehr als 70 Prozent nach 1990. Bereits in den 80er
Jahren war es der Regierung Helmut Kohl – insbesondere durch Abstriche
bei den Sozialleistungen und Steuererleichterung für die Unternehmen
– gelungen, die Bruttolohnquote bis 1990 auf 69,8 Prozent zu senken.
1980 belief sie sich noch auf 75,2 Prozent.
In den vergangenen vier Jahren nahmen nur die Gewinn- und Vermögenseinkommen
spürbar zu. »Konjunktur- und wachstumspolitisch fatal ist (...), daß
die Kaufkraftpotentiale der beiden Einkommensquoten asymmetrisch wirksam
werden. Die mikroökonomisch mit tendenziell hohen privaten Einkommen
verbundenen Gewinn- und Vermögenseinkommen weisen auch große, nicht
nachfragewirksame Sparneigungen auf; die hohe nachfragewirksame
Konsumneigung, die tendenziell mit Lohneinkommen verbunden ist, kann
sich jedoch wegen mikroökonomisch stagnierender, ja sinkender Einkommen
nicht entfalten«, so Schäfers Analyse der Lage, die ein Schlaglicht
auf die Binnemarktschwäche wirft.
Die vermutlich politisch gewollte Intransparenz bei der Erfassung der
Nettogewinne der Kapitalgesellschaften verhindert ihre genaue
Darstellung. Methodische Umwege erlauben nur Schätzungen der
Gewinnquoten. Dennoch: Amtlich nachgewiesen schwangen sich die
Bruttounternehmensgewinne seit 1994 von 218,16 Milliarden Euro auf die
Größe von 368,77 Milliarden Euro im Jahre 2004. Forderte der Staat
dafür 1994 einen direkten Steuerbetrag von 19,54 Milliarden Euro ein,
begnügte er sich zehn Jahre später mit 20,81 Milliarden. Da ein
steigender Investitionsbedarf in diesem Zeitraum nicht angesagt war,
wuchsen statt dessen die betriebliche Geldvermögensbildung, die
Dividendenausschüttungen an die Anteilseigner und nicht zuletzt die
Vorstandsgehälter.
Keine Emanzipation
Trotz der Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse sind
tariflich regulierte Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse nach wie vor
bestimmend für die Bruttolohnentwicklung. Im produzierenden Gewerbe
konnten Vollzeitbeschäftigte im Westen mit einem durchschnittlichen
Monatsverdienst von 3416 Euro rechnen,
Frauen müssen sich noch immer mit bis zu 1000 Euro weniger begnügen.
Auch im Osten gibt es nichts Neues: Seit 1996 verharren die Löhne
dort bei etwas weniger als 75 Prozent des Westniveaus. Hinsichtlich der
Lohnhöhe und der Arbeitszeit ist das Gebiet der ehemaligen DDR längst
eine real existierende Sonderwirtschaftszone der BRD.
Auch wenn tarifliche Lohnanpassungen nach oben um jährlich zwei
Prozent quer durch die Branchen die feststellbare negative Lohndrift
verzögern, sei der Sog geringerer Effektivlöhne nach unten durch
Niedrigstlohnarbeit unverkennbar, schreibt Schäfer. Die lange vor dem
Anschluß der DDR gezielt betriebene Einkommenspolarisierung seit der
Endphase der SPD-FDP-Koalition um 1980 hat zwangsläufig die Strukturen
der Klassengesellschaft deutlicher hervortreten lassen.
Asymmetrie
»Je mehr die Einkommensmitte der privaten Haushalte zugunsten der
Einkommensränder ausgedünnt wird, d.h., je mehr es einerseits
Einkommensarmut und Einkommensreichtum gibt, umso stärker wirkt der
asymmetrische negative Effekt dieser ungleichen Verteilung von
Einkommen, Konsum- und Sparquoten auf die private Nachfrage und das
gesamtwirtschaftliche Wachstum. Dieser Effekt wird zusätzlich durch
eine ungleiche Abgabenlast verstärkt«, stellt Schäfer fest. Eine
solche Umverteilung – sprich: Steuersenkung zugunsten der
Einkommensreichen – mache auch den Staat arm, verringere seinen
Ausgabespielraum und erzwinge das, was jeder Politikdarsteller »Sparzwang«
nennt.
Von Bundeskanzler Ludwig Erhards Losung »Wohlstand für alle« ist
nicht viel geblieben. Schäfer verortet inzwischen 21,5 Prozent der
Bevölkerung unterhalb der Armutsschwelle – die Millionen überschuldeten
Haushalte eingeschlossen. Arm ist demnach, wer an oder unterhalb der
Einkommenspfändungsgrenze einer alleinstehenden Person von 935
Euro lebt. Alles Klagen über eine als gesellschaftlich schädlich
erkannte Verteilungsgewichtung darf sich jedoch nicht damit begnügen,
im »Blick auf die gesamtwirtschaftliche Steuerlastfinanzierung bzw.
Sozialstaatsfinanzierung in Deutschland« wieder »paritätische«
Steuerlastverteilungen einzufordern, wie es Schäfer tut. Wer private
Verfügung über Kapital und Grundeigentum nicht in Frage stellt, darf
sich über Reichtumsakkumulation einer Minderheit nicht wundern.