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DIE ZEIT33/2004
42 Stunden plus x Eine Studie belegt: Die Deutschen arbeiten mehr, als
Politiker und Funktionäre denken Freizeitweltmeister? Arbeitstiere? Endlich wieder richtig
zupacken? Die Diskussion über die angeblich so kurzen Arbeitszeiten in
Deutschland hat längst ideologischen Charakter angenommen. Die eigentliche
Frage aber blieb unbeantwortet: Wie viel arbeiten die Deutschen wirklich? Diese
Wissenslücke hat jetzt das Institut zur Erforschung sozialer Chancen (ISO) in Köln
zu schließen versucht. Mit überraschendem Ergebnis: Die Deutschen arbeiten
mehr, als allgemein vermutet. Basis der Studie war ein Fragebogen, 131 Fragen lang, die Interviewer kamen
ins Haus und wollten alles rund um Arbeit und Beruf ganz genau wissen. Insgesamt
4012 »abhängig Beschäftigte deutscher Nationalität« im Alter von 18 bis 65
Jahren beteiligten sich an der Studie des ISO. Und gaben deutliche Antworten:
Vollzeitarbeitnehmer kommen im bundesweiten Durchschnitt auf 42,1 Stunden im
Monat, in Ostdeutschland sind es 43 Stunden und im westlichen Teil der Republik
immerhin 41,9. Wie kommt es zu dieser Zahl im angeblichen Land der 35-Stunden-Woche? Erstens
handelt es sich bei den 35 Stunden noch immer um eine Ausnahme. Und betrachtet
man die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten, die
durch Tarifverträge oder in individuellen Arbeitsverträgen festgelegt ist, so
kommt man in Westdeutschland im Mittel schon auf 38,9 Stunden und im Osten auf
39,8 Stunden. Zweitens darf man die vertraglichen Arbeitszeiten nicht mit den wirklichen
Arbeitszeiten verwechseln, so die Erkenntnis des Kölner Forscherteams um Frank
Bauer, Herman Groß, Klaudia Lehmann und Eva Munz. Die tatsächlichen
Wochenarbeitszeiten liegen durchschnittlich 2,7 Stunden über den vertraglichen
Arbeitszeiten, haben Studienleiter Bauer und Kollegen herausgefunden. Ursache
dieser Abweichung sind Überstunden, wobei die in Deutschland in höchst
unterschiedlichem Ausmaß geleistet werden. Denn wie viel jemand tatsächlich arbeitet, hängt hierzulande ganz
entscheidend von seiner Qualifikation ab. Während jeder zweite
Hochqualifizierte mehr als 40 Stunden pro Woche arbeitet, trifft das nur auf
jeden fünften Geringqualifizierten zu. Gleichzeitig finden sich unter den länger
Arbeitenden besonders viele Männer, während unter den Teilzeitarbeitnehmern
vor allem Frauen anzutreffen sind. Die Studie des Instituts zur Erforschung sozialer Chancen greift auf
Vergleichsdaten bis ins Jahr 1993 zurück. Dabei zeigt sich, dass sich die tatsächliche
Arbeitszeit bei Vollzeitbeschäftigten keineswegs immer mehr verringert hat. In
Westdeutschland hat sie sich von 41,5 Stunden (1993) sogar leicht auf 41,9
Stunden (2003) erhöht, in Ostdeutschland ist sie seit 1995 mit 42,9
beziehungsweise 43 Stunden (2003) praktisch konstant geblieben. Deutlich verändert
hat sich in der Zeit allerdings die Teilzeitquote. Sie stieg im Westen der
Republik von 16 auf 26 Prozent und im Osten von 8 auf 18 Prozent. Was paradox anmutet: Viele Teilzeitler, etwa Frauen in Ostdeutschland, würden
gerne mehr arbeiten, viele Überstundenklopfer dagegen hätten gerne etwas mehr
Freizeit. Dabei sind Überstunden nicht gleich Überstunden. Sie werden teils
mit Geld, teils mit Freizeit und von manchen Arbeitgebern überhaupt nicht
abgegolten. Nach Erkenntnis der ISO-Forscher wurden 1,1 der durchschnittlich 2,7 Überstunden
pro Woche finanziell kompensiert, 1,1 wurden durch Freizeit ausgeglichen und der
Rest bestenfalls durch ein freundliches Schulterklopfen abgegolten. Wobei
Letzteres vor allem bei den Hochqualifizierten die Regel ist. Die Untersuchung zeigt auch, dass die Zahl der bezahlten Überstunden seit
dem Jahre 1995 deutlich zugunsten des Freizeitausgleichs gesunken ist. Die
plausibelste Erklärung dafür ist die zunehmende Beliebtheit von
Arbeitszeitkonten. Diese geben den Unternehmen die Möglichkeit, bei konstanten
Kosten flexibel auf Nachfrageschwankungen zu reagieren. Statt teure Überstundenzuschläge
zu zahlen, geben sie ihren Angestellten in schlechteren Zeiten lieber ein paar
Stunden frei. So unflexibel, wie manche Experten die deutschen Arbeitnehmer sehen, sind sie
in der Praxis offenbar nicht: So arbeiten 32 Prozent der Beschäftigten regelmäßig
am Samstag und 13 Prozent sogar am Sonntag. Rund 16 Prozent müssen sich häufig
oder dauernd der Belastung von Schichtarbeit aussetzen. Wichtiger als die reine Stundenzahl ist für viele Arbeitnehmer allerdings,
welche Leistung in der jeweiligen Zeit von ihnen verlangt wird. Die steigende
Belastung derer, die noch eine Arbeitsstelle haben, spiegelt sich deutlich in
dem folgenden Ergebnis wider: 42 Prozent der Beschäftigten fühlen sich
praktisch immer oder zumindest häufig unter hohen Zeit- und Leistungsdruck
gesetzt. Dies trifft vor allem auf diejenigen zu, die ohnehin schon mehr als 40
Stunden arbeiten und kräftig Überstunden schieben.
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