Ein-Euro-Jobber bei der Arbeit: Einer streicht eine Wand,
immer dieselbe: grün, blau, weiß. Ein anderer zieht eine Mauer hoch, um
sie später einzureißen und wieder von vorn anzufangen. Wiederum andere
zerschneiden Teppichreste. Alltag in der Beschäftigungsgesellschaft
Hamburger Arbeit – und Anlaß für einen Sturm der Entrüstung in der
Hansestadt. »Arbeit darf nicht dämlich machen«, schimpfte eine örtliche
CDU-Arbeitsmarktexpertin. So etwas würde »demoralisieren«, kritisierte
der lokale DGB-Chef. Und in großen Lettern empört sich die Bild-Zeitung
über den »Ein-Euro-Job-Irrsinn«.
Doch so irrsinnig, wie es scheint, ist es nicht. Mit den Ein-Euro-Jobs
sind unterschiedliche Ziele verbunden. Der Irrsinn hat Methode. Noch ist
der Einstieg freiwillig. Ab 1. Januar wird die Teilnahme Pflicht. Jeder
Langzeitarbeitslose, der dann mehr als 15 Stunden pro Woche auf einer
Ein-Euro-Maßnahme sitzt, obwohl er weiterhin ALG II erhält, fällt aus
der Arbeitslosenstatistik. Logisch ist das nicht, aber so läßt sich
Statistik besser aufhellen. Fünf Millionen offiziell registrierter
Arbeitsloser sind für das Frühjahr prognostiziert. Da kommt es gelegen,
wenn die Ein-Euro-Maschinerie frühzeitig auf Touren kommt. Was da gemacht
wird, ist zunächst egal.
Arbeitsplatz ohne Arbeitslohn
Jedem Bezieher des ALG II soll ab 2005 ein Förderangebot unterbreitet
werden. Wer das nicht annimmt oder schuldhaft aus der Maßnahme entlassen
wird, bekommt Leistungskürzungen bei der Grundsicherung: Jungerwachsenen
kann die Leistung ganz gestrichen werden, nur noch Lebensmittelgutscheine
werden dann gewährt. Erwachsene müssen mit einer Kürzung um 30 Prozent
rechnen. Der Förderkatalog nach Paragraph 16 Sozialgesetzbuch (SGB) II
reicht von Umschulungsmaßnahmen über ABM bis eben hin zu jenen
Arbeitsgelegenheiten, den Ein-Euro-Jobs. Tatsächlich geht es in vielen
Bundesländern nur noch um diese. Das klassische Mittel zur »Überprüfung
der Arbeitswilligkeit«, wie es das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) schon
vorsah, soll auf alle Arbeitslosen übertragen werden. Je irrsinniger ein
Job, desto größer die Chance, daß Betroffene ihn hinschmeißen. Im
Jugendbereich der Hamburger Arbeit machen das schon jetzt 50 Prozent. Mit
geringem Einsatz wird ein Einspareffekt erzielt, der erheblich ist. Das
zeigen auch Modellprojekte in den Jobcentern Mannheim und Köln.
Diese ordnungspolitische und repressive Funktion der Ein-Euro-Jobs erläuterte
Detlef Scheele, Geschäftsführer der Hamburger Arbeit: Die Überprüfung
sei deshalb legitim, weil hinter der Zuweisung ein »tatsächlicher
Arbeitsplatz« stehe. So einfach wird eine nicht entlohnte, nicht
sozialversicherungspflichtige Arbeit zum »Arbeitsplatz«. Und wer das
nicht will, ist nicht vermittlungsfähig. Das entlastet den Haushalt. Nach
Berechnungen des deutschen Städtetags nimmt schon jetzt jeder Sechste
lieber Kürzungen bei der Sozialhilfe als solcherart Arbeit in Kauf.
Um dem nachzuhelfen werden die Grenzen der Zumutbarkeit aufgehoben, und
der Staat definiert, ab wann jemand auf Transferleistungen angewiesen ist.
Unabhängig davon, wie hoch die Eigenbeiträge in die
Arbeitslosenversicherung waren, gibt es nach spätestens eineinhalb Jahren
Arbeitslosengeld die steuerfinanzierte Transferleistung, auch
Grundsicherung oder ALG II genannt. Diese ist mit dem Zwang zur Arbeit
kombiniert. Die Folgen für das Versicherungswesen sind kaum abschätzbar.
Plausibel wäre es, wenn gut Verdienende sich zukünftig privat gegen
Arbeitslosigkeit versichern, denn wer erst mal ALG II erhält, verliert
alle Rechte.
Wer das Existenzminimum als Transferzahlung braucht, der soll und muß
eine Gegenleistung erbringen. Für den Berliner PDS-Wirtschaftssenator
Harald Wolf ist das klar: »Die Solidargemeinschaft kann für ihre
Leistung auch etwas verlangen«, erläuterte er seine Position. Wolf hält
es für vollkommen normal, daß demjenigen, der ein Angebot ablehnt,
Leistungen gekürzt werden. Nicht selten wird diese Transferleistung ins
Verhältnis zu Lohnleistungen gesetzt. Die Zeit beklagt, daß die neuen »Staatsarbeiter
neben ihrem Lohn noch ungekürzt ALG II und Geld für Wohnung und Heizung«
erhalten. Wer sich hingegen auf normalen Niedriglohnjobs bewege, sei
schlechter dran. Unter der Hand wird mit solchen Rechnungen die These bekräftigt,
als handele es sich beim Existenzminimum um einen Lohn. Doch
Ein-Euro-Jobber haben keinen Lohn, nur eine »Mehraufwandsentschädigung«,
keinen Arbeitsvertrag, keine Rechte, nicht einmal das Recht auf
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Experimentierfeld Kommune
Die Integration in den Arbeitsmarkt sei so besser möglich, sagt die
Bundesregierung. Was heißt das? Tatsächlich offenbart sich damit ein
Programm. Nach der Phase des Irrsinns, Übungsphase genannt, tritt die
Integration: im öffentlichen Sektor, bei kirchlichen Trägern,
Wohlfahrtsverbänden und in den Kommunen. Kostenlose Arbeit ist hier,
angesichts geleerter Kassen, besonders attraktiv. Der Verlust öffentlicher
Finanzierung soll durch Ein-Euro-Jobber ersetzt werden. Integration heißt:
Einmal Ein-Euro-Jobber, immer Ein-Euro-Jobber!
Nach dem Kriterium der Zusätzlichkeit (§ 261 SGB II) sind Arbeiten
nur zulässig, wenn diese ohne Förderung nicht, nicht in diesem Umfang
oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt würden. Doch
praktisch schafft jede Einsparung öffentlicher Dienstleistungen zusätzlichen
Raum. Die Grenzen zwischen zusätzlicher und regulärer Beschäftigung
verschwimmen so. In Hamburg wird schon eine Postfiliale durch
Ein-Euro-Jobber betrieben. Erst weggekürzt und dann als zusätzliche
Dienstleistung wieder eingeführt. Qualifizierte wird durch
unqualifizierte Arbeit ersetzt. Viel schlimmer: Wer arm ist, hat
eigentlich nicht die Zeit, sich für 160 Euro Mehraufwandsentschädigung
den ganzen Tag um Postvertrieb zu kümmern. Er muß Geld verdienen, wie
auch immer.
Um Verdrängungsprozesse aufzuhalten sollen Beiräte aus Vertretern der
Wirtschaft und der Gewerkschaften darüber wachen, daß unfaire
Billigkonkurrenz unterbleibt. Doch in der Praxis gelten von Ort zu Ort
unterschiedliche Regeln. In Hamburg haben sich die Handwerkskammer und die
Stadt längst auf ein Abkommen geeinigt, nach dem alle Aufgaben, für die
keine Haushaltsmittel mehr vorhanden sind, von Ein-Euro-Arbeitern erledigt
werden. So muß der Etat nur eng genug geschnitten werden, um viele der
bisherigen Regelaufgaben auf die Billigkräfte zu transferieren. Dafür
wird der Kammer garantiert, daß auch sie von den Ein-Euro-Jobbern
profitiert. Das ist attraktiv, denn diese kosten nicht nur nichts, sie
bringen auch noch Geld: 500 Euro pro Person und Monat zahlt der Staat,
mindestens 300 Euro davon kassiert der Träger. Deshalb gibt es auf 10000
Stellen in Hamburg 20000 Angebote. Damit auch der Übergang in Handwerk
und Industrie klappt, fordert BDI-Präsident Michael Rogowski eine weitere
Absenkung des ALG II. Jede Arbeit, egal zu welchem Preis, soll akzeptiert
werden. Interessenvertretungen? Gewerkschaften? Tarifverträge? All das
ist hier ein Fremdwort. Ist der Arbeitgeber mit den Leistungen nicht
zufrieden, fliegt der Jobber raus: von jetzt auf gleich.
Billiglohnbereiche gibt es schon jetzt, nicht selten von Tarifpolitik
begleitet. Die Ein-Euro-Jobs sozialisieren hier nach. Anspruchsverwöhnte
Arbeitnehmer und Erwerbslose sollen begreifen: Es geht noch schlimmer!
Deshalb wird die hermetisch enge Grenze zwischen staatlich gefördertem
und allgemeinem Arbeitsmarkt aufgelöst. Wo jede Arbeit zumutbar ist und
erzwungen werden kann, wird die Gelegenheit zu arbeiten, egal unter
welchen Bedingungen, selbst zum Lohn.
Das erste Experimentierfeld sind die Kirchen und die Wohlfahrtsverbände,
dann die Kommunen. Gebeutelt durch eine schwere Finanzkrise, wissen sie,
daß es unter den Millionen Erwerbslosen viele Qualifizierte gibt: vom
Krankenpfleger bis zum Pädagogen. Es erschließt sich ein erhebliches
Reservoir. 6,4 Milliarden Euro hat deshalb Finanzminister Eichel als
staatliche Zuweisung geparkt, um geplante 600000 bis 850000 weitere
Ein-Euro-Jobs allein in diesem Bereich zu schaffen. So können und sollen
Kindergärten, Krankenhäuser, Sozialstationen und soziale Dienste
betrieben werden. Die Arbeitwohlfahrt sagt: Wer ein Kind großgezogen hat,
ist qualifiziert für Kinderbetreuung. Ein-Euro-Jobs werden so
gesellschaftsfähig. Die Träger lügen sich selbst in die Tasche: Da man
am Gesetz nichts mehr ändern könne, will man es, »im Sinne der
Betroffenen«, positiv gestalten.
Mit den Ein-Euro-Jobs findet eine Entwicklung ihren vorläufigen
Abschluß, die sich seit längerem abzeichnet. Kontinuierlich sank das
Lohnniveau auch schon im zweiten Arbeitsmarkt. Mit staatlich organisierter
Leiharbeit (Personalserviceagenturen) und der Förderung von Minijobs
(heute 7,1 Millionen) kam ein weiterer Schritt hinzu. Pflichtarbeit sah
auch das Bundessozialhilfegesetz schon vor. Stetig sinkt das
Einkommensniveau auch bei regulär Vollzeitbeschäftigten. Auch dort
arbeiten 2,5 Millionen Menschen schon jetzt für Armutslöhne. Die
dauerhafte Verstetigung dieses Niedriglohnbereichs und dessen
quantitativer und qualitativer Ausbau ist das Ziel der Reformen.
Ein-Euro-Jobs disziplinieren die Menschen, sich darauf einzulassen,
zwingen sie zur Arbeit, egal unter welchen Bedingungen.
Diese Strategie zur Senkung der Lohnkosten ist aus der Sicht des
Kapitals ein äußerst adäquates Instrument, die Wirtschaftskrise zu überwinden.
Deshalb die Agenda 2010: Arbeitszeitverlängerung, Senkung der
unmittelbaren Lohnkosten, Privatisierungen, Flexibilisierung,
Deregulierung, Reduktion der Staatsquote. Die Ein-Euro-Jobs sind ein zusätzliches
Instrument, diesen Prozeß zügig voranzubringen.
Wie sich wehren?
Mit Tarifpolitik ist da nichts zu machen. Auch das Bemühen der
Dienstleistungsgewerkschaften, den Begriff der Zusätzlichkeit eng zu
halten, wird den dritten Arbeitsmarkt nicht aufhalten. Zu den
Ein-Euro-Jobs kommen die Ich-AGs, die Mini-Jobs, die Leiharbeiter hinzu.
Das sind Millionen. Auch das Mitbestimmungsrecht der Personalräte ist eng
gesetzt. Ohne eine Politisierung des Konflikts ist nicht viel zu machen.
Die gesellschaftliche Einkommensstruktur, Verteilungsgerechtigkeit und die
Thematisierung der Frage, welche Art der Arbeit zu welchen Konditionen
anerkannt werden kann, rücken ins Zentrum. Staatliche Aktivierung
exerziert nur vor (in besonders perfider Weise), was gesellschaftlicher
Standard in den Arbeitsbeziehungen sein soll. Klarheit in der Frage der
Wert- und Preisbildung der Arbeitskraft ist eine Voraussetzung dafür, Möglichkeiten
der Gegenwehr auszuschöpfen. Da in der Degradation größerer Teile der
arbeitenden Bevölkerung die öffentlichen Güter, die öffentliche
Daseinsvorsorge eine große Rolle spielt, muß zukünftig auch untersucht
werden, wie sich diese Fragen mit der Lohnfrage verbinden.
Hingegen ist die Diskussion bei den Trägern, ob dieser dritte
Arbeitsmarkt nun doch noch irgendwie positiv zu gestalten ist, ob nicht
doch noch ein »bißchen Freiwilligkeit« zu implementieren sei, eine
Diskussion, die am Kern des Problems vorbeigeht. Wer sich – wie es
Kirchen, kirchliche Träger, Beschäftigungsträger, Wohlfahrtsverbände
tun – einerseits darin gefällt, sozialpolitische Entwicklungen zu
kritisieren, sich andererseits aber als Anbieter von Ein-Euro-Jobs
profiliert, der handelt nicht nur unlogisch, sondern wird erleben müssen,
daß er in der nächsten Runde haushaltspolitischer Entscheidungen noch
weniger Zuschüsse erhält. Auch der Versuch, solche Maßnahmen
integrationstheoretisch zu begründen, ist absurd. Das alles sind
Verteidigungsgefechte, die zu nichts führen. Natürlich bleibt die
Forderung nach einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor
wichtig. Angesichts hoher und dauerhafter Massenarbeitslosigkeit, bei
gleichzeitiger Nichterledigung sinnvoller Aufgaben, ergibt sich ein
breites Spektrum. Aber öffentlich geförderte Beschäftigung kann nicht
heißen: Zwang, Rechtlosigkeit und permanente Repression. Beschäftigung,
öffentlich gefördert oder nicht, muß sich an gültigen Branchentarifen
orientieren. Die Ein-Euro-Jobs bilden da keine Grundlage.
Gegenmacht ist im Alleingang nicht herstellbar. Gegenmacht braucht
strategische Allianzen. Ohne diese ist es nur eine Frage der Zeit, bis
auch bei Karstadt oder Aldi »zusätzliche« Dienstleistungen durch
Ein-Euro-Jobber verrichtet werden. Die Verpackung ist ja nicht
gleichzusetzen mit dem Einkauf. Norbert Blüm findet da eine klare
Sprache: Ein-Euro-Jobs würden nach dem Motto vergeben: »Ich schmeiße
einen anständig Bezahlten raus und stelle jemand anderen für einen
Hungerlohn ein«.
Drei politische Felder ergeben sich. Erstens sind die Personal- und
Betriebsräte in den Kommunen und bei den Trägern dazu aufgerufen, die
Einrichtung solcher Arbeitsgelegenheiten unter dem Gesichtspunkt der Zusätzlichkeit
zu hinterfragen. Werden diese direkt in bestehende Arbeitsstrukturen
integriert, greifen die Mitbestimmungsmöglichkeiten des Personalrats. Wo
diese als Pool über Kooperationsverträge mit Dritten hineinkommen, muß
geprüft werden, ob ein Mitbestimmungsrecht existiert: Ist die Tätigkeit
an Weisungen eines Vorgesetzten aus dem aufnehmenden Betrieb gebunden,
handelt es sich um Regeltätigkeiten? Dann existiert ein
Mitbestimmungsrecht. Ansonsten muß der Verdrängungsprozeß politisch
thematisiert werden. In jedem Fall sollten sich Personalräte für zuständig
erklären.
Nicht mal unfallversichert
Zweitens müssen neue Formen der Interessenvertretung für
Ein-Euro-Jobber gefunden werden. Bis zu einer Million Ein-Euro-Jobber sind
keine Kleinigkeit. Sie verändern dieses Land. Die sichtbare Not, die sich
darin ausdrückt, daß sich viele auch freiwillig auf solche Jobs
bewerben, kann uns nicht egal sein. Die Bildung von Interessenvertretungen
zumindest auf kommunaler Ebene muß unser Thema sein. Das grundsätzliche
»Nein« zu den Ein-Euro-Jobs verbindet sich hier mit dem harten Kampf um
jeden Zentimeter der politischen und ökonomischen Gestaltung. Das Ziel muß
darin bestehen, Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen durchzusetzen.
Das fängt mit der Forderung nach einem Ticket im öffentlichen Nahverkehr
an, reicht über die Forderung nach einer Unfallversicherung (die
Ein-Euro-Jobber nicht haben) und mündet schließlich in der Überführung
der Ein-Euro-Jobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
Wenn uns die Politik wieder in einen Zustand versetzt, der für August
Bebel Ansatzpunkt für die Bildung der Sozialdemokratie war, dann müssen
wir diesen Kampf wieder aufnehmen. Laut Paragraph 2 Absatz 1 Ziffer 1 SGB
VII (Unfallversicherung) sind »Beschäftigte« unfallversichert. Die
spannende Frage: Ist ein Mensch in einer Arbeitsgelegenheit »Beschäftigter«
im Sinne der Unfallversicherung? Das wäre doch eine Frage, die wir leicht
thematisieren können, aber die zugleich für die weitere Debatte nicht
unwichtig ist. Die Nicht-Schlechterstellung der Ein-Euro-Jobber gegenüber
Personen, die sich im Freiheitsentzug befinden, sollte doch zu
thematisieren sein. Schauen wir genauer hin: Strafgefangene auf Freigang
haben einen Anspruch auf Lohnfortzahlung, ortsübliche Bezahlung,
Urlaubsgeld usw. Wo in Behörden und Trägern Personalräte existieren,
sollte sich diese auch für diese Fragen für zuständig erklären,
gemeinsam mit den Gewerkschaften, damit die Jobber nicht wie Insassen
psychiatrischer Anstalten behandelt werden. Auch bei der Frage der
Entlohnung kann verschiedenes diskutiert werden: Die Kombination aus ALG
II, Mehraufwandsentschädigung und Leistungen für die Unterkunft sollte
mit ortsüblichen Löhnen verglichen werden. Den Rest – das wäre eine
konkrete Forderung – soll die Kommune oder der jeweilige Träger
bezahlen! Immer wieder sollte auch auf die Verfassungswidrigkeit
unfreiwilliger Arbeit aufmerksam gemacht werden, wie sie sich aus Artikel
12, Absatz 2 und 3 des Grundgesetzes ergibt.
Gesetzliche Mindestlöhne
Das dritte, vielleicht zentrale Element einer Gegenstrategie kann in
der erwähnten Thematisierung gesamtgesellschaftlicher
Einkommensstrukturen liegen. Dabei geht es um Grundsicherung, gesetzlich
zu regelnde Mindestlöhne, Einkommenssicherheit und um die Macht über die
Einkommensverteilung. Die Diskussion um einen gesetzlichen Mindestlohn ist
dabei vordringlich. Franz Müntefering hat auf dem Höhepunkt der Bewegung
gegen »Hartz IV« einen gesetzlichen Mindestlohn ins Gespräch gebracht,
um damit der Bewegung die Spitze zu nehmen. Die kurze und heftige öffentliche
Debatte, die folgte, zeigt, wie empfindlich das Kapital darauf reagiert,
selbst wenn Müntefering wohl eher an Bruttolöhne weit unter 1000 Euro
dachte. Gesetzliche Mindestlöhne gibt es in neun von 15 der alten EU-Länder.
Die europäische Sozialcharta von 1961 besagt, daß 60 Prozent des
nationalen Durchschnittslohnes als untere Grenze für den Mindestlohn
anzusehen sind. IG Metall und die IG Bergbau-Chemie-Energie lehnen diese
Debatte ab, weil sie glauben, besser bezahlte Kernbelegschaften zu
vertreten, Mitgliederschwund und einen Bedeutungsverlust für die
Tarifautonomie befürchten. Tatsächlich ist aber der Druck der
Niedriglohnbereiche schon jetzt erheblich und setzt der Verhandlungsmacht
der Gewerkschaften Grenzen. In 130 Tarifverträgen sind Entgelte von
weniger als sechs Euro Stundenlohn vorgesehen. Mit der EU-Norm im Rücken
läge die Forderung für einen gesetzlichen Mindestlohn bei mindestens
1500 Euro Brutto. Das ist schon jetzt die Forderung der Gewerkschaft NGG (Nahrung-Genuß-Gaststätten).
Wenngleich die praktischen, politischen und juristischen Probleme eines
gesetzlichen Mindestlohns gewaltig sind, muß um ihre Lösung gerungen
werden. So könnten Abwehrkämpfe mit Perspektive verbunden werden.